Erklärung von Linn Washington

3. Mai 2001


Ich, LINN WASHINGTON, erkläre:

1. Dies ist eine Darstellung von Ereignissen, die am Morgen des 9. Dezember 1981 stattfanden. Diese Darstellung entspricht meiner wahrheitsgemäßen und korrekten Erinnerung an diese Ereignisse.

2. Ich lege die folgende Darstellung vor im Wissen um die Bundes- und die bundesstaatlichen Gesetze für Meineid und Falschaussagen.

3. Diese Darstellung behandelt vornehmlich zwei Themen: (1) Die ungewöhnliche Tatsache, dass am Tatort der Erschießung von Officer Daniel Faulkner, 13th und Locust Street, keine Polizei anwesend war, und (2) Ereignisse im Thomas-Jefferson-Hospital, in das Officer Faulkner und Mr. Abu-Jamal zur Behandlung gebracht wurden.

4. Ich heiße Linn Washington. Gegenwärtig bin ich Kolumnist für die Zeitung The Philadelphia Tribune. Außerdem arbeite ich als freier Journalist für Publikationen im ganzen Land. Ich schreibe häufig über Themen, die mit dem Strafrechtssystem und mit Rassismus zu tun haben. Darüber hinaus bin ich Assistenz-Professor im Fachbereich Journalismus der Temple University in Philadelphia. Ich habe einen Magistertitel der Juristischen Fakultät von Yale und einen Bachelor für Kommunikationswissenschaften der Temple University.

5. Zu der Zeit der Ereignisse, auf die ich nachfolgend ausführlich eingehe, arbeitete ich als Reporter für die Philadelphia Daily News. Damals war ich Lokalreporter der Daily News und hatte den Auftrag, über den 17-köpfigen Stadtrat zu berichten. Ich war dem Rathausbüro der Daily News zugeteilt. Ich hatte seit Oktober 1975 als Vollzeitreporter in Philadelphia gearbeitet. In dieser Funktion nahm ich vielfältige Aufgaben wahr, unter anderem als Polizei-/Kriminalreporter und investigativer Journalist. Bis zum Dezember 1981 hatte ich bereits Preise für einige meiner journalistischen Arbeiten bekommen.

6. Am 9. Dezember 1981 war mir Mr. Abu-Jamal sowohl beruflich als auch persönlich bekannt. Ich kannte Mr. Abu-Jamal als Kollegen, einen Journalisten, mit dem ich eng zusammengearbeitet hatte bei der Berichterstattung über eine Vielzahl von Themen, darunter Nachrichtenereignisse, bei denen es um Anschuldigungen gegen Angehörige der Polizei von Philadelphia wegen Amtsmissbrauchs ging. Darüber hinaus war Mr. Abu-Jamal ein Freund, den ich fast sieben Jahre zuvor bei WRTI-FM, dem Radiosender der Temple University, kennengelernt hatte. Das ist die Universität, an der ich mein Collegestudium abschloss.

7. Am Morgen des 9. Dezember 1981 schaltete ich nach dem Aufwachen Philadelphias Nachrichtenradiosender KYW ein. Nach dem Aufwachen KYW einzuschalten war mir damals aus beruflichen Gründen zur Gewohnheit geworden. Ich tat das, um mich mit den wichtigsten Ereignissen des jeweiligen Tages vertraut zu machen.

8. Die Hauptnachricht am 9. Dezember, als ich den Sender KYW kurz nach 6 Uhr morgens einschaltete, war die Erschießung des Polizeibeamten Faulkner.

9. Diese Nachricht erregte über die tragische Erschießung eines Polizeibeamten hinaus aus zwei Gründen sofort meine Aufmerksamkeit.

10. Erstens berichtete KYW, dass die Polizei den Journalisten Mumia Abu-Jamal am Tatort festgenommen hatte. Ich kannte Abu-Jamal, wie oben erwähnt.

11. Zweitens berichtete KYW, dass die ersten Polizisten, die nach der Nachricht über eine Schießerei bei der 13th und Locust eintrafen, einen Mann vorfanden, der mit gespreizten Armen und Beinen [„spread eagle“] an einer Mauer stand, und einen weiteren, der zusammengesunken auf dem Bordstein lag.

12. Der Mann an der Wand, so berichtete KYW, war William „Billy“ Cook, der Bruder von Abu-Jamal. Ich fand es ungewöhnlich, dass Cook mit gespreizten Armen und Beinen an der Wand stand, bevor ihm das von ankommenden Polizisten befohlen worden war.

13. Ich wusste, dass William Cook Abu-Jamals Bruder war. Ich wusste auch, dass Cook Straßenhändler in der Innenstadt Philadelphias war. Während der späten 1970er- und frühen 1980er-Jahre schikanierte die Polizei von Philadelphia häufig schwarze Straßenhändler – Vorfälle, über die ich als Journalist berichtet hatte. Ich hatte Cook Jahre zuvor durch einen engen Freund Cooks, Kenneth Freeman, kennengelernt. Cook und Freeman waren ständig zusammen, weshalb ich anfangs dachte, sie seien Verwandte.

14. Ich lernte Kenneth Freeman Mitte der 1970er-Jahre kennen, als er ins Büro der Philadelphia Tribune kam, nachdem Polizisten aus Philadelphia ihn verprügelt haben sollen. Ich arbeitete damals als Reporter für die Tribune.

15. Während der gesamten 1970er-Jahre verprügelte die Polizei häufig Schwarze im allgemeinen und schwarze Straßenhändler im besonderen, wie in zahlreichen offiziellen Berichten dieser Zeit, erstellt von Bundesbehörden und örtlichen Dienstaufsichtsbehörden, ausführlich dokumentiert wurde.

16. Nachdem ich diesen KYW-Bericht kurz nach dem Aufwachen am 9. Dezember 1981 gehört hatte, rief ich die Redaktion der Daily News an, um zu erfahren, ob ich einen speziellen Auftrag zu dieser Geschichte bekommen würde. Ich erhielt die ganz typische Anweisung, „jede Information, die Sie kriegen können“, zu besorgen und diese Informationen der Redaktion in regelmäßigen Abständen rückzumelden.

17. Als ich ungefähr gegen 7.30 Uhr meine Wohnung in Richtung von Philadelphias Innenstadt verließ, beschloss ich, den Tatort aufzusuchen, bevor ich zum Jefferson-Hospital fuhr. Das Jefferson, wie oben erklärt, war das Krankenhaus, in dem Officer Faulkner und Mr. Abu-Jamal eingeliefert worden waren.

18. Als ich am Tatort 13th und Locust ankam, war das Allererste, was mir sofort auffiel, dass kein einziger Polizist vor Ort war. Als ich gegen 8.30 Uhr am Tatort ankam, waren keine Polizeibeamten zu sehen. Es gab am Ort der Schießerei keine uniformierten Beamten, keine Detectives, keine speziellen Ermittlungsbeamten (etwa von der Spurensicherung).

19. Ich hielt die Tatsache, dass am Tatort eines Verbrechens überhaupt keine Polizei präsent war, für höchst ungewöhnlich.

20. Als altgedienter Berichterstatter über viele Polizeieinsätze wusste ich, dass es allgemeiner Standard war, zumindest einen uniformierten Polizisten mit der Bewachung des Tatorts zu beauftragen. Ich fand es höchst ungewöhnlich, dass keinerlei Polizei da war, um die Unversehrtheit dieses Tatorts zu überwachen, insbesondere auch, weil bei diesem Vorfall ein Polizist erschossen worden war. Ich hatte über frühere Schießereien berichtet, auch über Fälle, wo auf Polizeibeamte geschossen worden war, ohne dass es Tote gab, wo die Polizei die Tatorte ganze Tage lang für die Öffentlichkeit gesperrt hatte.

21. Es war zwar ungewöhnlich, dass keine Polizei vor Ort war, jedoch war so etwas schon früher vorgekommen. Ich hatte bei einigen früheren Gelegenheiten beobachtet, wie die Polizei von Philadelphia sich an Tatorten ungewöhnlich verhielt. Am bemerkenswertesten war dabei die Zerstörung eines Tatorts durch die Polizei am 8. August 1978, nur wenige Stunden nach dem Feuergefecht zwischen Mitgliedern der MOVE-Organisation und der Polizei von Philadelphia, bei der Officer James Ramp ums Leben kam.

22. Die Polizei zerstörte das Anwesen, das MOVE-Mitglieder während des Feuergefechts besetzt hielten, keine drei Stunden nachdem sich das letzte MOVE-Mitglied ergeben hatte. MOVE-Mitglieder, die sich ergaben, kletterten aus dem Keller des Gebäudes, den die Polizei mit Wasser geflutet und mit Tränengas vollgepumpt hatte, um eine Kapitulation zu erzwingen.

23. Ich bin davon überzeugt, dass die Polizei diesen MOVE-Tatort zerstörte, bevor genügend Zeit gewesen war, eine vernünftige gründliche Untersuchung durchzuführen. Die Polizei hatte sich in dem dunklen (keine Elektrizität) baufälligen MOVE-Anwesen weniger als zwei Stunden aufgehalten, dann wurde es mit Hilfe eines Abrisskrans dem Erdboden gleichgemacht.

24. Während des umstrittenen Verfahrens gegen die MOVE-Mitglieder, die wegen Officer Ramps Tod angeklagt waren, kam wiederholt die Frage auf, ob die Polizei im August 1978 am Tatort ausreichend ermittelt habe. In jener Periode kamen auch häufig Fragen dazu auf, ob die Polizei in Fällen, bei denen Polizisten des Amtsmissbrauchs beschuldigt wurden, angemessen ermittelt habe. Ich befürchtete, dass es als Folge der fehlenden Polizeipräsenz am Tatort 13th und Locust Street im Dezember 1981 den polizeilichen Untersuchungen in Zusammenhang mit den Anklagen gegen Mr. Abu-Jamal an Gründlichkeit mangeln könnte.

25. Am Morgen des 9. Dezember 1981 nahm ich den Tatort an der 13th und Locust Street in Augenschein. Ich wollte mich mit dem Ort vertraut machen und so viele visuelle Eindrücke sammeln wie möglich. Doch ich suchte nicht nach irgendetwas Bestimmtem, weil Details der Ereignisse rund um die Schießerei damals bestenfalls bruchstückhaft waren.

26. Billy Cooks VW befand sich immer noch am Tatort. Das Auto war nicht abgeschlossen. Ich öffnete die Beifahrertür und schaute in den parkenden VW hinein. Nach meiner Erinnerung sah ich ein paar Blutstropfen auf dem Boden hinter dem Fahrersitz.

27. Ich untersuchte den VW nur kurz. Während ich mich am Tatort aufhielt, erschien jedoch keine Polizei.

28. Von dem unbewachten Tatort 13th und Locust Street fuhr ich zum Jefferson-Hospital. Ich denke, das war kurz vor 9.00 Uhr morgens.

29. Ich ging zur Notaufnahme des Jefferson. Polizisten aus Philadelphia und Sicherheitskräfte versperrten den Zugang zur Notaufnahme von innen. Andere Reporter liefen in den Fluren außerhalb der Notaufnahme herum. Meiner Erinnerung nach verweigerten Polizei/Sicherheitskräfte den Zugang zur Notaufnahme selbst einigen Mitgliedern des Krankenhauspersonals, vermutlich allen, die gerade nicht ausdrücklich dienstlich in der Notaufnahme zu tun hatten.

30. Ich versuchte dann, durch den äußeren Eingang in die Notaufnahme zu gelangen, aber auch der wurde durch eine Schar Polizisten aus Philadelphia blockiert. Dieser Polizeikordon blockierte sogar den Zugang zum äußeren Eingang zur Notaufnahme, so dass man nicht hineinsehen konnte.

31. Einige Zeit nachdem ich beim Jefferson angekommen war, traf ich nach meiner Erinnerung einen Krankenhausbeschäftigten, der mich als Reporter kannte, und dieser sagte mir, die Polizei verprügele Mr. Abu-Jamal in der Notaufnahme. Ich hatte keine Möglichkeit, diese Behauptung zu überprüfen, da mir der Zugang zur Notaufnahme verweigert wurde und kein Polizei- oder Krankenhaussprecher verfügbar war. Die Behauptung eines tätlichen Angriffs überraschte mich jedoch nicht angesichts der Muster und Praktiken von Übergriffen seitens der Polizei von Philadelphia, über die Ermittler der Bundesbehörden und lokaler Medien damals wiederholt berichtet hatten.

32. Während ich im Jefferson war, begab ich mich schließlich zu einer Art Atrium, wo Essen serviert wurde. Während ich mir Essen holte, traf ich zwei andere Reporter, die ich kannte.

33. Nach meiner Erinnerung erklärte der eine von ihnen im Verlauf unserer Unterhaltung, dass er von einer ihm bekannten Person aus dem Krankenhaus erfahren habe, sie habe gesehen, wie die Polizei Mr. Abu-Jamal in der Notaufnahme tätlich angriff. Dieser Bericht stimmte mit dem Bericht überein, den ich von dem Krankenhausbeschäftigten erhalten hatte, der mit der Information über Prügel zu mir gekommen war.

34. Ich erinnere mich, dass ich noch eine weitere Stunde im Jefferson war und auf Informationen von Pressesprechern des Krankenhauses wartete. Ich erinnere mich nicht, irgendeinen Bericht von Sprechern des Krankenhauses bekommen zu haben.

35. Als ich vom Krankenhaus aus mit meiner Redaktion bei der Daily News sprach, sagten sie mir, ich solle in mein Büro im Presseraum des Rathauses zurückkehren. Ich verließ das Jefferson am 9. Dezember 1981 irgendwann nach der Mittagszeit.

Ich erkläre in Kenntnis der Strafbestimmungen über Meineid nach den Gesetzen der Vereinigten Staaten von Amerika, dass obige Erklärung wahr und korrekt ist und von mir am 3. Mai 2001 in Pittsburgh, Pennsylvania, unterzeichnet wurde.

(gezeichnet)

Linn Washington